Das beschauliche Oberhessen sieht sich ein bisschen wie Gallien: In der Region zwischen Vogelsberg und Wetterau wohnen rechtschaffene Menschen, die auch für ihren Dickkopf berühmt sind. Auf jeden Fall halten sie auch an alten Bräuchen und Traditionen fest. Natur steht ganz vorne; und mit dem Eisvogel in unberührter Natur hat auch das in Oberhessen gebraute Licher Bier überregionale Bedeutung bekommen.
In Oberhessen sind Traktoren Kult und Kultur. Jetzt hat das Traktor-Fieber auch das knapp 1.500 Einwohner zählende und zur Stadt Hungen zählende Villingen erfasst. Der seit 1971 in Villingen ansässige Motorsport-Club (MSC) Horlofftal hatte zu seinem 1. ADAC Traktor-Treffen eingeladen. Über 5.000 Besucher verfolgten am Sonntag bei freiem Eintritt die große Show, die sich der Vereinsvorsitzende Manfred Möll – sonst für die Durchführung großer Oldtimerfahrten des ADAC zuständig – ausgedacht hatte. 140 Besitzer herrlicher Traktoren aller Baujahre waren der Einladung gefolgt und reihten sich am frühen Sonntagmorgen in den Dorfstraßen ordentlich wie bei einem Formel-1-Rennen zur Startaufstellung auf, bis um 10.01 Uhr ein hervorragend erhaltener Lanz Bulldog aus dem Baujahr 1950 mit markantem, dumpfem Klang und dem ein oder anderen Qualmwölkchen als erster Starter losstapfte.
Am Lindenplatz bildete die sonst vom Nürburgring oder Hockenheimring bekannte Fulda-Showbühne den Mittelpunkt. In zwei Schleifen über zusammen 15 Kilometer ging es rund um Villingen und bis zum Nachbarort Ruppertsburg. Gleich vier Moderatoren stellten von der 15 Meter breiten Bühne und an der Strecke im Wechsel die Fahrzeuge und deren nicht minder interessanten Fahrer vor. Mit im Boot waren auch die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG), der Bauernverband und der Bezirksverband der Landfrauen.
Während die Teams bei den Ruppertsburger Landfrauen eine Kartoffel schälen und am Infostand in Villingen nach dem Motto „Bauer malt Frau“ ihre Kreativität unter Beweis stellen mussten, ging es beim MSC um die Geschicklichkeit im Umgang mit den Traktoren, die in fünf Altersklassen eingeteilt wurden. Gefragt waren beispielsweise der korrekte Abstand vor einem Gatter, das Einschätzen der Breite beim Durchfahren einer Spurgasse aus Bierkisten oder aber die Einhaltung einer Geschwindigkeit von exakt 10 km/h – ohne Tacho ein schwieriges Unterfangen! Bei der Aufgabe „heimische Tiere erkennen“ erhielt der MSC Verstärkung der Villinger Vogelschützer.
Bei sommerlichen Temperaturen füllten sich schon am dem frühen Morgen die Villinger Dorfstraßen. Vor dem Start checkte GTÜ-Prüfingenieur Bernd Albert den verkehrssicheren Zustand aller Traktoren der Baujahre 1940 bis 2009. Der MSC Horlofftal hatte über 75 Helfer im Einsatz und erhielt von Teilnehmern und Besuchern viel Lob. In der Wertung um das beste Dorf (Mannschaftswertung der drei besten Einzelfahrer) siegten die Fahrer des nur 390 Einwohner zählenden Nachbardorfes Röthges vor Ruppertsburg und Bellersheim. Klassensieger wurden Manfred Martin (Langsdorf) auf einem Deutz von 1955, Wolfgang Emrich (Röthges/Mc Cormick 1961), Christopher Lehr (Ruppertsburg/Deutz 1972), Manuel Rust (Buseck/Voltra 2007) und Thorsten Kühn (Röthges/Monax 1956). Zum schönsten Traktor wählte eine Jury um den hessischen ADAC-Chef Dr. Erhard Oehm den Glühkopf-Lanz D 7506 (Baujahr 1940) des stolzen Besitzers Jochen Schmidt aus Buseck.
In einer Ausstellung in den Dorfstraßen zogen Mähdrescher und Hígh-Tech-Schlepper neuester Generation die Blicke auf sich. Besonders angetan hatte es den Besuchern „Black Beauty“, der schwarze Fendt Vario mit 365 PS.
Höhepunkt des Show-Programms war die Wahl des Fahrers im originellsten Outfit. Hier zeigte sich mancher „Gallier“ in Opas Klamotten oder eine ganze Heuerntetruppe in Kittelschürze und Holzrechen. In der Jury saß der Hochadel: Die hessische Milchkönigin, die Rapskönigin, die Hungener Brunnenkönigin, die Apfelweinkönigin und der Villinger Zwibbelkönig kürten die Sieger.
Rallyefahrer als Kartoffelschäler
Vor 25 Jahren war er als Rallyefahrer nicht zu schlagen,jetzt bewährte er sich beim 1. ADAC Traktor-Treffen des MSC Horlofftal als konkurrenzfähiger Kartoffelschäler: Udo Schwarz aus Eschenburg-Hirzenhain bei Dillenburg. Vor zwei Wochen feierte der früher auf Ford Escort, Opel Ascona und Manta 400 sowie Ford Sierra Cosworth in Deutschland erfolgreiche Rallyefahrer seinen 60sten Geburtstag und verriet dabei, dass er mit dem Sammeln von Porsche-Traktoren eine neue Leidenschaft entdeckt hat. Kurzerhand melde er sich mit seinem bis in kleinste Details restaurierten Porsche 327 S aus dem Baujahr 1962 für das Traktor-Treffen in Villingen an. Bei den Ruppertsburger Landfrauen unter Leitung von Monika Rinker kamen an der Kontrollstelle bisher unentdeckte Talente des Motorsportlers ans Licht. Mit einer 55 cm langen Schale einer Original-Bausch-Kartoffel lag Udo Schwarz in der Spitzengruppe. Kurios: Viele Männer wollten ihre Erfolge lieber geheim halten: „Sagt meiner Frau bloß nicht, dass ich das kann, sonst muss ich zu Hause demnächst auch die Kartoffen schälen!“